Steigende Kaiserschnittraten werden häufig auf ein defensives Vorgehen und eine zunehmende Medikalisierung der Geburtshilfe geschoben. Auch das Risiko rechtlicher Konsequenzen für Krankenhäuser und Personal ist bei einem Kaiserschnitt geringer.
Ein weiterer Vorteil geplanter Kaiserschnitt-Geburten: der Mangel an Fachkräften in Kreißsälen lässt sich so besser bewältigen. Aber ist der Kaiserschnitt tatsächlich eine Modeerscheinung?
Seit Jahren widmet sich Prof. Dr. Philipp Mitteröcker, Evolutionsbiologe und Anthropologe, der Universität Wien intensiv den global steigenden Kaiserschnittraten und ihren möglichen Ursachen.
Dabei sieht er vor allem evolutionäre Faktoren als Ursache für immer häufigere Kaiserschnitt-Geburten.
In Zusammenarbeit mit Eva Zaffarini von der Universität Mailand-Bicocca untersuchte Mitteröcker die globale Entwicklung der Kaiserschnittgeburten.
Die erste Karte zeigte die weltweiten Kaiserschnittraten zwischen 2005 und 2017.
Bei der anderen Karte wurde die Größenzunahme der zugehörigen Elterngeneration (geboren zwischen 1970 und 1990) und damit auch die unterschiedliche Wachstumsdynamik der einzelnen Länder dargestellt.
Durch eine umfassende Analyse der erhobenen Daten konnte gezeigt werden, dass eine Größenzunahme von 1 mm pro Jahr sich in einer um 10 Prozent erhöhten Kaiserschnittrate widerspiegelt.
Verfälschende Faktoren, wie beispielsweise Schwangerschaftsdiabetes, der BMI und das Alter der Mutter, wurden bei der Analyse entsprechend berücksichtigt.
Auch sozioökonomische Faktoren, der Zugang zu geburtshilflichen Leistungen und das allgemeine Gesundheitssystem jedes Landes wurden von Mitteröcker und Zaffarini genauestens in die Datenanalyse mit einbezogen.
Als Ursache für die steigende Zahl von Kaiserschnitten nennt Mitteröcker nach umfassender Analyse sämtlicher Daten vor allem die fortgeschrittene Entwicklung der Kinder im Mutterleib.
Während der Schwangerschaft sind Mutter und Nachwuchs heute besser versorgt als jemals zuvor. Dies hat positive Auswirkungen auf die Entwicklung, allerdings schlägt sich dies meist auch in der Größe und dem Gewicht des Kindes nieder.
Das kann dazu führen, dass der Mutterleib bzw. das Becken der Mutter dem Nachwuchs nicht länger gewachsen ist und ein Kaiserschnitt die beste Möglichkeit ist, um Mutter und Kind die Geburt zu erleichtern.
Es ist aber nicht nur die absolute Größe der Mutter für die steigenden Kaiserschnittraten verantwortlich, sondern vor allem die relative Größe des Ungeborenen im Verhältnis zu seiner Mutter.
Dieses Phänomen lässt sich übrigens als Intergenerationenphänomen zu beobachten und zeigt wie eng sozioökonomische Entwicklungen mit der unmittelbaren Umwelt zusammenhängen.
So sagt Mitteröcker: “Menschliche Biologie und Gesundheit sind nicht statisch, sondern im Fluss, und können sich, beeinflusst durch sozioökonomische und medizinische Veränderungen, lokal unterscheiden.”
Auch aus diesem Grund plädiert Mitteröcker dafür, dass biologische Faktoren unbedingt stärker in die Geburtshilfe einbezogen werden müssen. Aufgrund dieser Entwicklungen ließen sich die Kaiserschnittraten nicht willentlich senken, sondern seien als sinnvoller Eingriff für das Wohl von Mutter und Kind in vielen Fällen unerlässlich, so Mitteröcker.